Ödipus und Antigone
von Simon Vestdijk, übersetzt von Ilja Braun
Sie konnt sich nimmer fügen in die wahre,
Die tiefre Blindheit, die sie in ihm sah,
Und nicht auf dass sie Kummer ihm erspare,
Blieb sie dabei, dass er unschuldig war!
Wie kann das Schicksal einen Menschen strafen,
Der ohne Absicht sich in Schuld verstrickt?
Wer würde jemals eine Frau beschlafen,
Wenn seine Mutter er in ihr erblickt?
Doch er, der Blinde, wollt davon nichts wissen,
Ergab sich dem erhabnen Schicksal treu
In eitler Selbstsucht und in nobler Scheu.
Worauf sie schwieg, und schritt mit ihm einher,
Während ihm Ängste das Gemüt zerrissen,
Dass doch das Leid am Ende sinnlos wär.
(1949; Übersetzung veröffentlicht in: "Mythos Antigone".
Hrsg. von Lutz
Walther. Leipzig: Reclam 2004.)
http://www.mynetcologne.de/~nc-braunil3/vestdijk.htm
Neue Deutsche Übersetztung: Der kupferne Garten, bei Arche
Verlag
Übersetztung von Marianne Holberg, 22 €
364 seiten, isbn 3-7160-2326-4 - Oktober 2005. Bestellen bei Amazon.de
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"Die tragische Liebe zwischen dem Sohn eines Richters und der Tochter
eines erfolglosen Dirigenten in einer Kleinstadt um 1900. Ein großer Klassiker
der niederländischen Literatur ist zu entdecken: Simon Vestdijk"
Der gestohlene Traum
Es wurde in dem Traum Musik gemacht: bestimmte überirdische
Klänge, die sich anhörten wie ein Summen oder wie ein Hallen oder der
Gesang von jenen Arbeitern; ein Geräusch, das durch seinen ganzen Körper
klang, als ob große Künstler zu seiner eigenen unaussprechlichen Freude
von innen auf seinen hohlen Knochen bliesen. Welch eine Erleichterung,
bewerkstelligt durch diese Musik! aus Der
gestohlene Traum
Deutsche Neuausgabe
Sankt Sebastian, Die Geschichte einer Begabung
Artikel aus Winkler Prins Lexicon
Übersetzt ins Deutsche
Aus der Roman Das fünfte Siegel
- ein El-Greco-Roman aus der spanischen Inquisition
Übertr. aus dem Holländischen von Annie Gerdeck-de Waal
SIMON VESTDIJK 1898 - 1971
Artikel von Rein Bloem im Winkler Prins Lexikon, 7.Auflage 1975
Berechtigte Übersetzung aus dem Niederländischen von Ydwine
Schneider 1992
Simon Vestdijk, geboren am 17.10.1898 in Harlingen (Provinz Friesland)
als einziges Kind gutbürgerlicher, Amsterdamer Eltern. Sein Vater
war Turnlehrer, ein tatkräftiger Mann, seine Mutter eher introvert
und immer besorgt um die Gesundheit ihres Sohnes. Beide waren musikalisch.
Auch bei Simon war die Liebe zur Musik schon früh anwesend.
Nach Grundschule und Oberrealschule studierte er in Amsterdam Medizin
(Abschluß 1927) und Musik (1926), praktizierte unter anderem einige
Zeit als Schiffsarzt, verzichtete aber auf sowohl eine ärztliche
als auch eine musikalische Laufbahn und widmete sich ab 1932 ganz der
Literatur.
1939 nahm er seinen Wohnsitz in Doorn (Provinz Utrecht), wo er bis zu
seinem Tode am 23.3.1971 zurückgezogen lebte, anfangs mit seiner
langjährigen Haushälterin und Freundin, nach deren Tod und seiner
Heirat (1965) mit seiner Frau, einem Sohn und einer Tochter.
Als Student publizierte er Gedichte und Erzählungen in den unterschiedlichen
USA (Unitas Stud.Verein Amsterdam) Jahrbüchern und in literarischen
Zeitschriften. Er debütierte mit Gedichten in De Vrije Bladen
(Die Freien Blätter), kam in Berührung mit den niederländischen
Autoren Du Perron und Ter Braak und wurde später Redaktionsmitglied
der Zeitschrift Forum.
Vestdijks erster Roman Kind tussen vier vrouwen (Kind zwischen
vier Frauen), vom Verlag Nijgh & Van Ditmar abgelehnt, weil das Manuskript
(fast 1000 Seiten) zu umfangreich war für ein Debüt, wurde zeit
seines Lebens keinem anderen Verlag angeboten, sondern erst postum veröffentlicht
(1972). Dieser Roman war die Keimzelle, aus der viele Romane, Novellen
und Gedichte entstehen sollten. Hauptperson ist ein isoliertes Kind voller
Ängste, das sich einerseits zu verlieren sucht in Frauengestalten,
welche die Mutter, die Schwester, die irdische Freundin und die unerreichbare
Geliebte (=Ina Damman) repräsentieren (oder Aspekte eíner
Faszination sind), andrerseits sich davon befreien möchte, um letzten
Endes eigene Wege zu gehen. Diese romantische Thematik ist grundlegend
für den größten Teil der Werke Vestdijks und entwickelt
sich, besonders nach der Verantwortung und Bewusstwerdung in seinem Essay
De toekomst der religie (Die Zukunft der Religion) (1947) zu
einer persönlichen Mystik: ein Mensch, der sich in einem Status quo
befindet, wird sich plötzlich seinerselbst bewusst (oft vor dem katalysierenden
Hintergrund der Natur, vorzugsweise einer Gebirgslandschaft), überwindet
diese Bindungen und orientiert sich auf ein Ideal in der Zukunft; anfangs
gestaltet sich das in Form eines höheren Ichs, einer Leitfigur, dann
in Gestalt einer unnennbaren, höchstens noch weiblich betonten Ewigkeitserfahrung,
die erst im Tode ihre Vollendung finden wird. Zahlreicher als die Momente,
in denen Gegenwart und Vergangenheit zusammenfallen und solch eine zeitlich
begrenzte Erfahrung erreicht wird (namentlich im Traum, in der Extase
und in der Phantasie), sind die Konfliktsituationen zwischen den beiden
Ausgangspunkten. Es verleiht den Hauptpersonen in Vestdijks Romanen, von
denen der Titelheld im achtbändigen Anton-Wachter-Zyklus
in hohem Maße autobiografisch ausgearbeitet wurde, fast immer eine
gewisse Tragik und eine unheilbare Einsamkeit; ihre weiblichen und männlichen
Vorbilder, Gegen- oder Mitspieler bleiben stets unerreichbar. Vestdijk
hat diese Mythologie eines ambivalenten Lebenswandels, bestimmt von regressiven
und progressiven Sehnsüchten, in zahlreichen zeitgenössischen,
historischen und futuristischen Romanen und Novellen dargestellt, psychologische
Schemen benutzend, die er astrologischen Grundsätzen entnahm; nicht
aus dem Glauben an Astrologie heraus, sondern weil diese ihm ein Rollenspiel
lieferte, welches das Grundmuster seiner Intrigen ausschmücken konnte.
Weniger psychologisch bedingt funktioniert die gleiche Mythologie offensichtlich
in Vestdijks Poesie, zwanzig Bände, postum in drei Sammelbänden
herausgegeben als Verzamelde Gedichten (Gesammelte Gedichte).
1986 erschien dann noch ein umfangreicher Band Nagelaten Gedichten
(Hinterlassene Gedichte). In sehr plastischen Versen, in denen die Idee
oft schwerer wiegt als Laut und Rhythmus, wird der fundamentalen Unmöglichkeit,
sich mit Höherem zu identifizieren oder das Damals
bleibend im Jetzt zu integrieren, viele Male Ausdruck verliehen.
Das eindrucksvollste Beispiel bildet die Folge von 150 Sonetten, Madonna
met de valken aus dem Band Gestelse Liederen (1949), geschrieben
als er sich während des Zweiten Weltkriegs einige Zeit in St.-Michielsgestel
in Geiselhaft befand. Viel Forschungsmaterial für die mythologische
Beschaffenheit seiner Werke liefern auch die Essaybände, von denen,
außer De toekomst der religie, Essays in duodecimo
(1952) und die niemals effektiv gewordene Dissertation Het wezen van
de angst (das Wesen der Angst) erschienen 1968, anlässlich
von Vestdijks 70. Geburtstag die wichtigsten Beispiele sind.
Sowohl Romane als auch Poesie und Essays wurden in einem spröde-barocken
Stil mit vielen Unterbrechungen, Nebenbeibemerkungen und Korrekturen geschrieben,
was eher auf eine grundlegende Unsicherheit und Gefühlstarnung hindeutet
als auf intellektuelles Gehabe, dessen Vestdijk mit seiner ungeheuren
Produktivität des öfteren bezichtigt worden ist. Sein umfangreiches
und vielseitiges Gesamtwerk, in dem seine originellen Veröffentlichungen
auf dem Gebiete der Musik ein Kapitel für sich darstellen, und das
nahezu unveränderlich ein sehr hohes Niveau beibehält, wurde
unzählige Male preisgekrönt darunter 1971 der 'Prijs der
Nederlandse letteren' (Preis der Philologie) postum von seiner Witwe in
Empfang genommen , erhielt aber nie den Nobelpreis, obwohl er von
1956 bis zu seinem Tode im Jahre 1971 auf der Kandidatenliste aufgeführt
wurde, einmal an dritter Stelle. Erst nach seinem Ableben entstand eine
adäquate Essayistik, die den Umfang und die Einheit des Gesamtwerks
systematisch erforscht. Erwähnt werden sollte dabei die Gründung
eines Vestdijk-Kreises mit eigener Kronik.
Nachtrag 1992
Seit dem Tode des Autors wird der literarische Nachlass von seiner Witwe
verwaltet. In den Jahren 1978 bis 1984 wurden unter ihrer Aufsicht alle
Romane aufs neue gesetzt und neu aufgelegt. Auch sind alle Musikessays
(10 Bände) von neuem verlegt worden und wurde ein Anfang gemacht
mit der Veröffentlichung einiger Briefwechsel. Eine textkritische
Herausgabe der Nagelaten Gedichten kam 1986 zustande.
Inzwischen wurden die Anton-Wachter-Romane als Hörspiel
bearbeitet und sind fünf andere Romane von Vestdijk verfilmt worden.
Sowohl in Polen als auch in der Tsjechoslowakei wurde von Het vijfde
zegel (Das fünfte Siegel) eine Fernsehbearbeitung gemacht. Ein
Großteil seines Gesamtwerks ist in zwanzig Sprachen übertragen
und herausgegeben worden, unter anderem De toekomst der religie
in den Vereinigten Staaten von Amerika.
Übersetzt ins Deutsche
Romane
Das fünfte Siegel, Rohrer Verlag Brünn, 1939, Übers. A. Gerdeck
- de Waal
Die Fahrt nach Jamaica, Rohrer Verlag Brünn, 1941, Übers. Georg
Kurt Schauer
Aktaion unter den Sternen, Rohrer Verlag Brünn, 1942, Übers. A.
Gerdeck - de Waal
Irische Nächte, Rohrer Verlag Brünn, 1944, Übers. Georg Kurt Schauer
Der Arzt und das leichte Mädchen, Hamburg, Paul Zsolnay Verlag,
1953, Übers. R. Italiaander
Betrügst du mich..., Hamburg, Paul Zsolnay Verlag, 1954
Erzählungen:
Drei Väter, Deutsch von R. Italiaander, Niederländische Meister
der Erzählung, Walter Dorn Verlag, 1952
Der unterirdische Kerker (De oubliette), Deutsch von Wolfgang Hirsch,
Niederländische Erzähler der Gegenwart, Reclam Stuttgart, 1962
Die Fähre, Deutsch von Jaap Grave, Moderne Niederländische Erzählungen,
Suhrkamp, 1993
letzte Bearbeitung: 28-10-2005
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