Der kupferne Garten
Der kupferne Garten
fragment uit de nieuwe Duitse vertaling van
De koperen tuin, uitgegeven door Arche Verlag,
ISBN 3-7160-2326-4, 2005
Aus dem Niederländischen von Marianne Holberg

 

 

...Nachdem der Dirigent sich zum Kellner gebeugt hatte, wobei er einen Augenblick wankte, begann er ohne eine Spur von Befangenheit, mit dem Gesicht zum Publikum den Zettel zu lesen. Er hatte eine hohe, glatte Stirn und pechschwarze Locken. Mechanisch zwirbelte er seinen Schnurrbart auf. Mit einem Ruck drehte er sich um, rief den Musikern etwas zu, die hastig oder gelangweilt neue Notenblätter an den Platz der soeben gebrauchten schoben, und tickte mit seinem Zauberstöckchen auf den Notenständer; das Stöckchen hob sich, der linke Arm hob sich, und der Marsch brach los, Stars and Stripes von Sousa.
Warme Dankbarkeit wallte in mir auf, ein prickelnder übermut erfüllte mich, sodass ich erwartungsvoll nach Zeichen der Rührung auf all den Gesichtern in meiner Nachbarschaft suchte. Als diese Zeichen ausblieben, fühllte ich tiefe Enttäuschung, fühllte ich, dass es etwas wie ein heilige Pflicht gab, diesen Marsch gegen Dickfelligkeit und Gleichgültigkeit zu schützen. Schliesslich war dieser Marsch ein alter bekannter von mir; ich war mehr oder weniger verantwortlich dafür; und man konnte sich noch andere aufsehen-erregende Dingen ausdenken als Zettel. Eine Zeitlang stampfte ich mit den Füssen im Takt. Das wurde wohl auch von den anderen bemerkt, aber ich wirbelte wor allem Staub auf, und der Platz, der dadurch um mich herum entstand, war eine unwiderstehliche Einladung, mich noch mehr in Bewegung zu setzen, zu marschieren, im Takt zu hüpfen. Das Gekicher rundum berührte mich nicht. Die nachlassende Hitze erlaubte es mir, mit Armen und Beinen eine Pantomime zum besten zu geben, ohne dabei zu schwitzen; hätte ich die Kunst beherrscht, ich hätte einen Kopfstand gemacht; das hätte man mir abgenommen. Obwohl ich kaum noch zuhörte, obwohl mir nur der Rhythmus im Blut steckte, in meinen Beinen, in meinem clownhaft sich wiegenden Kopf, war ich eins geworden mit dem Marsch, der Verteidiger, der Leibeigene von Sousa und dessen königlichem Dolmetscher. Das Gelächter hörte ich wohl, o ja, aber sie hörten doch die Musik, sie waren doch hierhergekommen für schöne Musik...
Da wurden meine Hände von kühlen, langen Händen gefasst. Ich sah auf, und an den Enden dieser beiden locker geschmiedeten Ketten bewegte sich das grosse, blasse Mädchen, das ich am Eingang hatte stehen sehen, graziös mit mir im Takt. Sie war ein Kopf grösser als ich. Bisweilen war es, als zöge sie mich empor, zu sich hin, während ich doch sehr wohl wüsste, dass sie nie einen Arm um ihre Taille würde geduldet haben, wie beim normalen Tanzen. Wie fest sie mich auch hielt, wir tanzten nicht sosehr miteinander als einander gegenüber. Zwei hellblaue, feuchte, fast wässrige, doch schelmisch lachende Augen hielten meine Augen zwingend fest, während wir uns ohne einen bestimmten Plan langsam fortbewegten, langsam rundherum. Als das Trio einsetzte, sagte sie: "Was hast du für rote Wangen", als die Pikkoloflöte ihre Ausgelassenheit über den Park warf, leuchteten ihre Augen auf, warf sie das aschblonde Haar zurück, und über das fast durchsichtige Weiss ihrer Wangen breitete sich eine sanfte Röte. Es folgte ein kurzer, schneller Wirbeltanz, den ich nur mit Mühe durchstand; darauf liess sie mich los und flog an ihren früheren Platz zurück, wo ich sie durch Staubwolken und mit klopfendem Herzen und einem Schleier vor den Augen ebenso reglos stehen sah wie zuvor. Ihr Gesicht war zum Musikpavillon gewandt, sie nahm nicht mehr die geringste Notiz von mir, und wer dumm dastand, das war ich.


Über den Schrifsteller Simon Vestdijk