Das fünfte Siegel (ein Fragment)



Ein El-Greco Roman von Simon Vestdijk,
Autorisierte Übersetzung aus dem Holländischen von Annie Gerdeck - de Waal;
gedruckt bei Rudolf M. Rohrer Verlag, Brünn, 1941
El Greco, Gezicht op Toledo



Vorspiel

Valladolid, 24. Juni 1559

Es war nicht die innere Ratlosigkeit, die Angst oder der Zwiespalt des Gewissens, was ihnen die fatalste Betäubung verursachte, während sie an dem johlenden, wogenden Volk vorüberzogen, als vielmehr der Geruch des Corozas. Diese kegelförmigen, mit Teufeln und züngelnden Flammen bemalten Schandmützen stanken nach Leim, und das war noch entnervender als der Modergeruch feuchter Verließe, um so mehr, als sich Karnevalserinnerungen damit verbanden, wenigsten bei Juan Sanchez, dem Jüngsten der vier. Karneval waren auch die gelben Büßerhemden, die Sanbenitos, auch mit Flammen und Teufeln versehen; bei den Reumütigen unter ihnen waren es vorn und hinten aufgemalte rote Sankt Andreaskreuze – und die kleinen grünen Kreuze, die man den Verurteilten durch die Handschellen gesteckt hatte. Aber etwas war nicht Karneval: die Mordaza, der Knebel im Munde, der aus verhärteten Ketzern stumme, satte Pythonen machte, und die sie daran hindern sollte, die Umstehenden mit ihrem gottlosen oder aufrührerischen Zeugnis anzureden. Dieses unaufhörliche Kauen sah man bei dem Baccalaureus des kanonischen Rechtes Antonio de Herrezuela, dem Sproß eines der ältesten Geschlechter Valladolids, der mit der sehr jungen Leonor Alvarez de Cisneros vermählt war, – sie ging weit vor ihm im Zuge zwischen den anderen Reumütigen, er wollte sie nicht mehr kennen; so war es auch bei dem kleinen Italiener Carlos de Seso, der die Seele der geheimen ketzerischen Konventikel in Valladolid und Sevilla gewesen war. Juan Sanchez war davon befreit, weil er, wie man allgemein annahm, am ehesten mürbe werden und abschwören würde, ebenso der kränkliche und gebrechliche Padre Agustin de Cazalla, der ehemalige Hofprediger Karls des Fünften. Bis zu dem Augenblick seiner Entweihung durfte er noch das schwarze Augustinergewand tragen, und die höhnischen Zurufe des Volkes galten mehr seinen drei Geistesverwandten als dem Priester.
Weiter ging der Karnevalszug. Kreischend zeigten die Umstehenden einander die Gruppen, liefen um die Gassen herum, um den Zug von neuem zu treffen. Da gab es Särge mit den Gebeinen von während der Untersuchung gestorbenen Ketzern; vornehme Adelige trugen sie auf den Schultern, begierig vom König bemerkt zu werden, in ihren Augen glühte Eifersucht im Kampf um den Vorrang, der schon so manches Autodafé durch eine Schlägerei gestört hatte. Da waren auch, unmittelbar vor den Inquisitionsbeamten auf ihren geschmückten Mauleseln die Bilder geflohener und in contumaciam verurteilter Ketzer, deren Schatten verbrannt werden sollten. Ferner waren da drei Puppen auf Stecken in jüdischen Sterbegewändern, ein einzelner kleiner Mönch und acht Spanier auf Stangen; die Träger blieben ernst, auch das Volk blieb ernst, als sie vorüberzogen und sich nickend wie Marionetten verneigten. Dies alles war Karneval. Aber nicht Karneval war der Stein, der, halb geworfen, halb fallend, aus einem der Fenster Carlos de Seso traf; er war auffällig groß und eckig, wiederholt sprang er von dem Pflaster auf. Dies mußte in einer Aufwallung von Glaubenseifer geschehen sein, denn schon seit Wochen war es der Bevölkerung eingeschärft worden, daß jedes eigenmächtige Eingreifen bei diesem ersten Autodafé vor dem jungen König streng geahndet werden würde. Man war keine fünf Minuten entfernt von der Plaza, wo dieser der Buße gewärtigte. Aber vielleicht war der Stein geworfen worden, weil sich die Reue bei Herrezuela Sanchez, de Cazalla und Carlos de Seso nicht rasch genug einstellte; letzterer hatte ebenso wie die andern aufgeschaut, zwischen hohen verdrehten Schultern und seiner schiefsitzenden Mitra von Pappe: ein lächerlicher Anblick mit seiner studiert-schwärmischen Unschuldsmiene. Düster schleppte sich de Cazalla weiter ohne auf den Zwischenfall zu achten, über den die Menge johlte. Und auch Herrezuela ging schon wieder gerade aufgerichtet; zwischen Leim und Kautuch wölbte sich seine gefurchte Stirn weit vor, wie wenn sie als besonderes Opfer durch die Straßen geführt würde. Schon hatte sich der Stein nach einige launischen Sprüngen beruhigt, schon drangen die Handlanger des Alguacil in das Haus, aus dem man geworfen hatte, als Juan Sanches an seinen Fesseln rüttelte und unverkennbar lächelte. Sein schöner offener Knabenmund zeigte einen Ausdruck vergnügten Staunens. Sobald er über dem Johlen, dem fernen Trommelwirbel und dem Chor der Knaben mit ihrem ‘ora pro illis’ die Stimme erhob, bemühten sich die beiden Dominikanermönche, in deren Mitte er ging, eifrig um ihn, um das Bekenntnis seiner Reumütigkeit entgegenzunehmen. Darauf hatte man bestimmt gerechnet, er war der Jüngste und am wenigsten Gebildete unter den zweiundvierzig! Auf ihn würde de Cazalla folgen. Aber sie waren noch nicht bei ihm angelangt, als er wieder an den Fesseln rüttelte, – eine sofort erstickte Gebärde, – und indem er den Blick abwechselend auf Herrezuela und de Seso vor ihm heftete, rief er mit lauter Stimme:
Ich sage euch, daß, so diese schweigen, die Steine reden werden...
Es war aus Lukas. Man konnte darüber streiten, ob das Zitat nach diesem Steinwurf richtig angebracht war; offenbar war es zuvor schon beabsichtigt. Geschrei erhob sich; das Volk verstand fast ebenso schnell wie die Dominikaner, die enttäuscht zurückwichen und nach rückwärts winkten. Soldaten faßten sich an an den Händen, um die rasende Menge im Zaun zu halten, denn wie rasch wäre ein Mord aus Fanatismus an einem so verstockten Ketzer verübt. Juan Sanchez aber hatte nicht Lukas aus seiner kleinen, ins Gefängnis geschmuggelten spanischen Bibel auswendig gelernt, sonder Matthäus 10. Drei Familiares der Inquisition gleichzeitig kamen herbeigerannt mit drei Mordazas, weißen wirksamen Folterinstrumenten, die an ledernen Riemchen baumelten...
‘Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe, seid vorsichtig wie die Schlange und ohne Falsch wie die Taube!’ , rief Juan Sanchez, der ein wenig nach hinten übergeneigt ging, zufrieden, fast vergnügt lächelnd wie ein junger andalusischer Arriero, wenn dessen Maulesel sich eben in Trab setzen; seine weißen Zähne schimmerten feucht als Zeichen, dass er keine Angst kannte, ‘...aber hütet euch vor den Menschen, denn sie werden euch ausliefern’ .
Hastig wurden Instruktionen weitergegeben, es sah so aus, als müsse man erst noch über Juan Sanchez verhandeln. Ein Männchen, das wie ein Küster aussah, mit weit abstehenden Ohren, das metallene Kreuz auf der Brust und fanatisch vorgeschobenem Kinn, reichte Helfern links und rechts eine Mordaza, während der Zug sich langsam, fast schleppend, immer weiter bewegte.
‘Satan! Hurensohn! Cara de hereje! Schlagt ihn tot!’
Juan Sanchez schüttelte 1ächelnd den Kopf, umfaßte mit einem Blick seiner großen braunen Augen noch einmal seine beiden Vordermänner, und zitierte weiter aus Matthäus. Er fühlte, dass seine Zitat Herrezuela und de Seso beglückte, wenn sie sich auch nicht umschauten. Er füllte, daß er, ehemals der Geringste, nun plötzlich der erste geworden war in diesem Konventikel von Adligen und Gelehrten, die fast alle ihre jämmerlichen Angst verleugnet und verraten hatten. Und so war es in der Tat. In diesem Einfältigen im Geiste wurde Carlos de Seso für seine jahrelange Missionsarbeit belohnt, die Saat der Märtyrer trug Früchte im Volk. So sollte es sein. Und Herrezuela dachte, als er diese Stimme hinter sich hörte, zum erstenmal nicht mehr an sein dreijähriges Söhnchen, das vielleicht für sein ganzes weiteres Leben entehrt sein würde, sondern an den Scheitenhaufen; ihn zu erleiden mit solchen Kameraden, in dieser Dreimannschaft, erschien ihm als etwas Schönes...
‘... und fürchtet nicht diejenigen, die den Leib töten und die Seele nicht töten können, sondern fürchtet viel eher...’
In der allgemeinen Vewirrung, die der Zusammenbruch de Cazallas anrichtete, wurde die Mordaza unsanfter als beabsichtigt hineingestoßsen. Der Knebel kostete Juan Sanchez einen Zahn, und ein Zahn durchbohrte die Zunge. Er konnte das Blut nicht mehr ausspucken; jetzt war er still. Die Trommel der Zarza, der Hellebardiere der Inquisition, die die Prozession eröffneten, unterbrach die Stille mit einem anschwellenden Wirbel, der schnell verstummte, als die Plaza erreicht war, ein weites, besonntes, ummauertes Gelände, wo man in der Ferne hölzerne Tribünen erkennen konnte. Der Zug wand sich durch den engen Zugang, wo zwei reich geschnitzte Erker sich über den Köpfen der Menge näherten, und bog nach links. Man reckte die Hälse. Zwischen anderen vornehmen Gestalten meinte jeder ganz in der Ferne schon den König zu erkennen, el Rey nuestro Señor, el Rey Don Felipe, den jungen frommen König, dem, außer bei dieser Gelegenheit, vor allem von den drei Verurteilten gehuldigt werden würde als Triumph des Glaubens; nicht später als nach dem Verlesen des Urteils. Denn einem Verfeinerten, dem mehr an der Annahme der Dogmen gelegen war als an geröstetem Blut, konnte der Scheiterhaufen, dieser Hochgenuß für den Pöbel, keinen Triumph bedeuten. Es war eben nicht so wie jeder geglaubt hatte, daß de Cazalla infolge körperlicher Hinfälligkeit niedergestürzt war. Schwer hing er zwischen den Dominikanern, die ihn liebevoll umarmten und ihm zuredeten, nach einem geflüsterten: peccavi, Brüder...
Und das in solchen Dingen vielerfahrene Volk verstand die Tragweite dieses Vorgangs wieder ebenso rasch wie die gelehrten Mönche. Dutzende der Umstehenden schlugen das Kreuz, feuchte Augen erhoben den Blick gen Himmel, eine alte Frau kniete nieder mit Dankgebeten. Der Priester, der Vertreter Gottes auf Erden, von seinem Irrtum bekehrt, hatte widerrufen.

In die Hände des Großinquisitors Fernando de Valdés, des Erzbischofs von Sevilla, legte der König den Eid ab. Weihrauchwolken und die Feuerzungen gelber Trauerkerzen waren für einige Sekunden das einzige, was sich dort regte. Das Schwert, das der König entblößte, zitterte nicht, sein Gesicht sah aus wie Wachs. Die violette Gestalt trat zurück, das übergeworfene Messhemd flatterte, und das ‘Amen’ des Volkes, das nach den hohl verwehten Klängen eines Aufrufes den Eid von den vier Seiten der Plaza her dumpf murmelnd unterstützte, wurde abgelöst von dem frenetischen Schrei: ‘Viva El Rey!’ Dieser Schrei erhob sich über Kreuzen und Hellebarden, über dem grünen Kreuz auf dem Altar, das Dominikaner die ganze Nacht bewacht hatten, wie über dem schwarz umflorten Trauerkranz, über den Schandmitras und den grünen Kreuzen der Verurteilten, die am höchsten auf der Tribüne saßen; er erscholl über die Balkone mit den überhängenden Riposteros, wo die adligen Damen und Bürgerfrauen ihre schwarze Fächer bewegten. Dann wurde er zurückgeworfen zu der kaum merklich sich verneigenden Gestalt mit der Kette des goldenen Vließes auf der Brust. In dunklen Samt gehüllt, das blonde Haupt entblößt, stand der König unter dem Peristyl des Rathauses, gerade vor der Mitte der Balustrade, wo die rotgelbe Fahne und das rote Kreuzbanner der Inquisition flatterten. Nun trat er zurück und ließ sich in einiger Entfernung vom Gefolge nieder. Unter anderen Reichsgrößen zogen Ruy Gomez, Prinz von Eboli und seine junge Gemahlin die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich. Anna de Mendoza y la Cerda war die Tochter des Vizekönigs von Peru, die Philipp selbst an den viel älteren Günstling verheiratet hatte. Vor dem Rathaus erhoben sich zu beiden Seiten des Altars die zwei großen Tribünen, links vom König die für die Angeklagten, rechts die für die Inquisitoren, unter der sich ein besonderer Raum für die Erfrischungen und dringenden Beratungen befand. Agustin de Cazalla verließ eben dieses Gemach, ein gebrochener Mann, doch mit einem glückseligen Lächeln um die Lippen; er begab sich, nachdenklich und gebeugt, zu der anderen Tribüne; Inquisitoren und Familiares blickten ihm nach. Er stieg ganz hoch hinauf, schlug das Kreuz und neigte sich zu Herrezuela.
Inzwischen machte man Vorbereitungen zum Verlesen der Urteile. Die mit rotem Samt umhüllte Schachtel mit den Dokumenten wurde zur Kanzel getragen, wo Melchior Cano gesprochen hatte; man rückte die Bank zurecht, auf die die Komparanten sich setzen mußten; Familiares kamen und gingen; Inquisitoren, Prälaten, Dominikaner, von denen einige sich den Mund wischten, erschienen wieder auf ihren Tribünen, während den Damen im Peristyl die ersten Erfrischungen gereicht wurden. Die Unterhaltung drehte sich hier hauptsächlich um die Predigt von Melchior Cano; sogar die Prinzessin d’Eboli, deren schmales, stolzes gesicht auf der einen Seite von einem schwarzen Tuch verhüllt war – sie hatte beim Floretfechten ein Auge verloren – gab zu, daß diese Predigt das klassisch gebaute Meisterstück des Tages gewesen. Es war aber mehr als das, es war mehr als eine großartige Bekämpfung des lutherischen Schismas, des ‘giftigen Reptils, dieser Quelle des Pestilenz, die Ansteckung verbreitete’. Andere Verbrechen, Übertretungen geringerer Art, die auch durch dieses Autodafé gebüßt werden sollten, die man der Vollständigkeit halber dem König nicht glaubte vorenthalten zu dürfen, hatte er gänzlich übergangen. Es war für den, der es richtig verstand, schon in Anbetracht der Person des Redners, eine rednerischen Demonstration des gesamten spanischen Staatskirche gegen den Papst, Paulus den Vierten; er war 1558 von den Tercios der spanischen Armee gedemütigt worden und nachher noch fortwährend durch eigenmächtigen Rechtsspruch und die Nichtveröffentlichung von Bullen und Sendschreiben, doch immer noch nicht genug nach dem Geschmack der weltlichen Autokratie und der ehrgeizigen Kongregationen. Von den Gesandten fehlte der päpstliche Nuntius. Nicht um Carlos de Seso zu retten, sondern um darzulegen, daß seine Person der römischen Inquisition fernstehe, hatte er seine Proteste erhoben und spielte durch seine Abwesenheit einen ohnmächtigen Trumpf aus. Daß die päpstliche Gefängnisse und Ketzergerichte noch unmenschlicher waren als die spanischen, blieb unerheblich bei dieser Prestigefrage. Nach Ansicht des Papstes durften seit einiger Zeit alle Ketzer ohne Unterschied verbrannt werden; erfahrener als mancher weltliche Machthaber, menschenkundig geworden durch mancherlei Täuschung, legte er Bekehrungen im Angesicht eines solchen Todes kaum noch einen Wert bei; er hätte nicht auf die Pönitenz gewartet wie Philipp! Man war sich darüber einig, daß Cano zur Erweckung jener Reue weniger auf das Gefühl der Unbußfertigen zu wirken gewußt hatte als der König es wohl gewünscht. Erregung, Empörung klang aus der Stimme des berühmten Dominikaners und Hochschullehrers von Salamanca, der Leuchte des Konzils von Trient, ja, hin und wieder wurde er sogar von seinen Gefühlen überwältigt. Dieser Geißler des römischen Sündenpfuhls war der heftigste Gegner von Jesuiten und Mystikern und allem, was sich nicht vom geradlinigen Verstand erfassen ließ. Aber wenn er ketzerische Lehren verlas, setzte er, ein larmoyantes kleines Männchen, wie von Ekel erfüllt, eine schmerzliche, fast angewiderte Miene auf, und zog die Schultern hoch. Jedoch, aus solchen Zusammenbrüchen, die nachträglich durch den Kontrast wirkten, erhob er sich wieder jedesmal in körperlicher wie geistiger Spannkraft zu nachdrücklich haarscharf dialektischen Höhepunkten, die bewunderungswürdig waren. Der Brief des Apostels Jacobus, den Luther geringschätzig einen ‘Strohbrief’ genannt, diente ihm als Handgabe gegen den blaß und kraftlos gewordenen Paragraphen aus der Augsburger Konfession, der den Glauben als Mittel der Rechtfertigung über die guten Werke stellte! Ein Seminarist vermochte dazu die Summa Theologiae des heiligen Thomas von Aquino zu zitieren, doch Cano drang außerdem nach einigen Scheinmanövern tief in Paulus ein, dieses feindliche Bollwerk par excellence, um die guten Werke zu bestätigen mit Hilfe von Paulus’ wirklicher Intention, deren Spur zu finden nicht wenig scholastische Gedankenarbeit erfordete. Kunstvoll wurden Motive aus der Liturgie des Johannestages mit denen des dritten Sonntages nach Pfingsten verknüpft, der diesmal auf den 24. Juni fiel. Lukas 15, das Evangelium für diesen Sonntag, das zum ersten Male das lange erwartete Gleichnis vom verlorenen Schaf zur Sprache brachte, verband er in erdrückenden Wendungen mit den Homilien des heiligen Augustinus, in denen für den Geschmack eines Dominikaners allzuviel von der unbefleckten Empfängnis die Rede war. Von der angefochtenen Autorität des Papstes wurde weislich nichts erwähnt, um so mehr von der Prädestination, der Leugnung der Göttlichkeit Christi, der Bibelkritik, der Priesterehe und weiteren lutherischen Unverschämtheiten, an deren Verbreitung die verirrten Lämmer auf der Tribüne Schuld trugen. Ein Kunstwerk an und für sich war die Peroration, die bald folgte. Melchior Cano war nicht nur Thomist, sondern auch ein humanistisch geschulter Philosoph mit viel Sinn für Analogien und überraschende Gleichungen, ebenso blumenreich wie tiefsinnig. Außer dem schon früher angestellten Vergleich zwischen dem Johannisfeuer, das der König am vorigen Abend eigenhändig angezündet hatte, und dem Scheiterhaufen des heiligen Officiums, zog er, sehr weit in der Geschichte zurückgehend, mit furchtbarem Spott und einem Überfluß an gelehrten Zitaten aus dem Urchristentum Simon den Magier ans Licht, nach des Apologeten Irenaeus Ansicht ‘der falsche Prophet, der Vater aller Ketzer’, in welchem Cano einen Vorläufer der Protestanten erkannte, welche, wie er sagte, auf das ‘sola fides justificat’ und die Verwerfung der guten Werke zurückkamen und die angebliche Sittenlosigkeit des Simon Magus als eine Erfindung der Kirchväter bezeichneten. Cano schilderte sodann den sündhaften Lebenswandel des Zauberers in Palästina, der vom Apostel Petrus und dessen Wundern übertroffen wurde. Er befand sich stets in Gesellschaft einer gewissen Helena, die nach Simon selber die göttliche Weisheit verkörperte, die aber in Wirklichkeit eine vermaledeite Hure aus Tyrus war, sofern man Tertullian Glauben schenken wollte. Dabei warf Melchior Cano unter seinen struppigen Brauen einen einzigen scharf forschenden Blick, und danach keinen weiteren, in die Richtung von Leonor Alvarez de Cisneros, der legitimen Ehefrau des Antonio de Herrezuela, die sich zuerst zu ihm bekannt hatte. Die Anspielung war mehr als deutlich. Johannes des Täufer und Salome taten ein Übriges.
‘Wenn wir die traurige Pflicht erfüllen, zu Ohren Seiner Allerchristlichsten Majestät abschließend ein allegorisch zusammenfassendes Bild der an diesem Tag abzuurteilenden Sünden aufzustellen, dann ist es dies: Helena, das unzüchtige Kebsweib des Antichristen, in einer Person gedacht mit der unkeuschen Mörderin des Morgensterns des Christentums, des heiligen Bußgesandten, dessen Geburtstag wir heute feiern und dessen Geist uns alle beseelen möge! Beide seufzen sie in der äußersten Finsternis, diese weiblichen – und wie wenig weiblichen – Gog und Magog. Und mit ihnen seufzen und werden seufzen ihre Geistesverwandten und Nachkömmlinge, ihre verdammenswerte Saat, die Kinder und Kindeskinder ihrer verpesteten Bäuche! Aber Gottes Wege sind unerforschlich, seine Langmut ist unerschöpflich und sogar für die Häretiker ist Rettung in Aussicht. Gott ist ja doch die Causa principalis aller Gnade – laßt uns aber nie die Causa instrumentalis vergessen, die guten Werke der alleinseligmachenden Kirche! – die Gnade durch die Bekehrung in Christo, und wenn nicht, die Gnade mit Hilfe des reinigenden Feuers, das dem Körper vernichtet, doch die Seele, die also ihre Sünden büßt, in den Stand setzt, mit Hilfe des Himmels der ewigen Verdammnis zu entgehen. Morbida facta pecus totum corrumpit ovile! möge dieser Kernspruch, neben der Devise unseres heiligen Dominikus: Justitia et misericordia, bis in alle Tage die Richtschnur des heiligen Officiums bleiben, das aber deswegen die räudigen Schafe noch nicht unwiderruflich von sich stößt! Denn, meine Brüder, beim Herren, dem dreieinigen Gott unserer Mutterkirche, sind alle Dinge möglich. Wenn Er auch in der Fülle seiner unbegreiflichen Gnade denjenigen, den Er liebt, züchtigt, wer Ihn liebt, bekehrt sich, wie sündig er auch sei, aus Liebe, nicht aus sklavischer Furcht, nicht aus Angst vor der Züchtigung. Und, meine Brüder, wird es im Himmel nicht mehr Freude geben über einen Sünder, der durch Christum im Heiligen Geiste wiedergeboren und von neuem in den Schoß der Kirche aufgenommen wird, als über neunundneunzig Gerechte, die keiner Bekehrung bedürfen?’
Was wunder, daß während der Unterhaltung über diese bewundernswerte Homiletik aller Augen sich immer wieder auf Leonor de Cisneros richteten. Sie saß bleich und fast ohnmächtig in der ersten Reihe der Tribüne, eingepfercht zwischen einem Bauer, der am 23. März 1551 in der Trunkenheit darauf beharrte, daß die Ehe immer noch besser sei als das Zölibat – eine häufig vorkommende und von der Inquisition mit einer gewissen giftigen Zähigkeit bestrafte Äußerung – und einem Juden, der am Sonnabend gebadet hatte. Beide waren wegen wahrscheinlicher Ketzerei gemartert worden, und ihre eiternden, schlecht verbundenen Wunden stanken in der Sonne. Da ein vollkommenes Geständnis der Verstockten und der Widerruf der anderen jede Ergänzung überflüssig gemacht hatte, war das hochnotpeinliche Verhör bei den Lutheranern nicht angewendet worden. Gleichzeitig erörterte man jetzt Chancen für de Cazalla. der noch immer mit Wörten und Gesten Herrezuela zu bekehren versuchte und sich von Zeit zu Zeit auch an die anderen wandte. Sie konnten nichts erwidern, nur verneinend den Kopf schütteln. Sie konnten nicht denken, ihr Hirn war angefüllt mit Worten, wie de Cazalla sie da gebrauchte und die sie vierzehn Tage lang aus dem Mund der Konsultores und Calificatores vernommen hatten – und sie waren betäubt von der Hitze, dem Leimgeruch und den Mordazas. Nur Herrezuela, über das rotbekreutzte Büßergewand seiner Frau auf den Platz starrend, wo die Reumütigen einer nach dem andern mit brennenden Kerzen in der Hand erschienen, um ihr Urteil zu vernehmen, gedachte seines vertanen Lebens, das sogar dann, wenn er nicht standhaft bleiben und noch rechtzeitig abschwören würde, durch Entehrung und jede denkbare gesellschaftliche Beschränkung verspielt wäre. Er hob den Blick nicht höher als bis zur Lehne der Holzbank. Auf ein Zeichen vom Peristyl her, daß man sein Söhnchen in Sicherheit gebracht hätte um es unter einem anderen Namen zu erziehen, wagter er nicht mehr zu hoffen.
Das Verlesen der Urteile brachte wenig Abwechslung – Geldbußen, Konfiskation, wobei der Thesaurar der Staatskasse die Ohren spitzen mußte, Geißelung, Galeere, Gefängnisstrafe mit ständigem Tragen des Sanbenito, geistliche Strafen für die reuevollen Lutheraner und Kalvinisten – und schon fing das Volk an Wetten abzuschließen über die Rangordnung, in der die drei Verstockten der Prüfung widerstehen würden, und in welchem Grad der Vollständigkeit, bis zu welchem Ende. Die Wut über ihre Hartnäckigkeit wurde gemildert durch die Aussicht sie ohne vorheriges Würgen brennen zu sehen. Erst als Leonor de Cisneros nach vorn kam und die knarrende Stimme des Sekretärs über sich ergehen ließ, richtete die Aufmerksamkeit sich wieder auf die Szene. Hoch auf der Tribüne wetteiferten die begleitenden Dominikaner mit Agustin de Cazalla.

Don Fernando Ramon Alvarez de Cisneros stand ganz hinten zwischen anderen Mitgliedern des Cortes. Man mied ihn aus Taktgefühl, nicht etwa aus Angst kompromittiert zu werden, denn bei Philipp war er trotz allem Persona grata geblieben, da er geholfen hatte, dessen Rechte gegen die Stände durchzusetzen. Leonor war nur eine entfernte Base von ihm, und seine Beziehungen zu Herrezuela, der nie zu den Regalistas, den Verfechtern der absoluten Königsmacht, gehört hatte, waren sehr oberflächlig. Niemandem war es eingefallen, ihn der Ketzerei zu zeihen. Seine eigensinnig-beharrliche Art hatte ihn veranlaßt, bei allen möglichen Instanzen kühne Versuche zu machen, die von vornherein zum Mißlingen verurteilt waren. Man ließ ihn seine Bittschriften einreichen, man beschwichtigte ihn. Er hatte nichts weiter ausrichten können als den kleinen Antonio in einem Dorf unterzubringen; nicht weit von Medina del Campo sollte das Kind unter einem anderen Namen bei einer Försterfamilie erzogen werden, damit das Knäblein gegen die Entehrung gefeit wäre, die den Familiengliedern der Verurteilten alle rechte entzog. Trotz dieses Resultates, mit dem der gesunde Menschenverstand sich hatte zufrieden geben müssen, befand sich Don Fernando in einem Zustand von Wut und Erregung. Die Anwesenheit Philipps, den er irgendwie als seinen Schützling betrachtete, war ein Ärgernis in seinen Augen. Sein Stolz und sein Feingefühl sträubten sich gegen die Corozas, den schlechtsitzenden Sanbenito von Leonor, die Knebel, die die drei Opfer wehrlos machten gegen den Augustiner, dessen Feigheit man in seiner Umgebung vorsichtig glossierte. Don Fernando war noch ziemlich jung, sehr energisch und zwang sich, vor nichts in der Welt zurückzuweichen; seine Soldatenzeit in Italien, aus der einige Proben seines Mutes sogar bei Hofe bekannt waren, hatte ihm ein hohes Maß von Ansehen verschafft, wenn auch in weniger pedantischen Auffassung als bei den daheimsitzenden Granden, die sich eines schiefen Blickes wegen duellierten. Wenn er nicht handelte, jetzt, in diesem Augenblick, dann müßte er sich sein Leben lang entehrt fühlen, auch ohne Dazutun der Inquisitation... Als Langeweile, Hitze und die Lust, sich ein wenig zu bewegen, eine größere Ungezwungenheit herbeiführten, als man sogar in der unmittelbaren Nähe des Königs die Plätze wechselte, erblickte er eine Chance; er machte einen Umweg, wobei die Sonne kurz sein braunes Gesicht streifte, in welchem die abgeflachte Adlernase in eine gerade Stirn überging. Er vermied es, den Griff seines Säbels zu berühren und schritt auf Philipp zu. Hinter dem Rücken eines höheren Inquisitionsbeamten, mit dem der König sprach, versuchte er aus den kalten, träumerischen Augen, deren Graublau müde unter schwer hängenden Augenlidern schimmerte, einen Blick zu erhaschen. Der Mann entfernte sich; Fernando de Cisneros trat rasch vor, zur großen Verwunderung der vier oder fünf Adeligen, die hinter dem König standen, und sagte laut in gebietendem Ton, indem er seine Capa fester um sich zusammenzog:
‘Die unwürdige Behandlung, die man einem gelehrten Caballero und einer mit mir verwandten Frau antut, habe ich nicht an Euch verdient, Majestät.’
Das war eine ungeheuerliche Verletzung der Etikette: Philipp aber fühltte sich an diesem Tage als Diener Gottes und vielleicht war ihm jede Chance sich zu rechtfertigen willkommen. Von Natur war er ein Stammler, der mit seinem fast unförmig mächtigen Kiefer und seinen fleischigen Lippen nur mit Mühe Worte formte, doch hatte er die Antwort parat, bevor sich noch einer der Höflinge vom Schrecken erholt hatte. Das entschiedene Auftreten des andern machte auch ihn entschieden, denn es fehlte ihm nicht an raschen Denken, und seine zögernde Sprechweise, die nur zu einigen Worten reichte, war größtenteils bedingt durch seine servile oder diplomatische Umgebung, oder durch Liebenswürdigkeiten, von denen er immer noch annahm, daß sie seinem Vater galten.
‘Wenn mein Sohn ein Ketzer wäre,’ sprach er, ‘würde ich mit eigenen Händen das Holz zum Scheiterhaufen herbeitragen.’
‘Aber nicht ihn mit einem Knebel im Munde an den Pranger stellen!’
‘Auch das hätte er verdient.’
‘Aber geschehen würde es nicht!’ rief Fernando de Cisneros wütend.
Eine feuchtkalte Hand zog ihn am Gelenk nach rückwärts. Er beherrschte die Aufwallung, sich auf den König zu stürtzen, der sich von ihm abgewandt hatte und nun unbeweglich über den Platz starrte, wo gerade eines der letzten Urteile verlesen wurde. Das Licht des Nachmittags beschien die östlichen Giebel; hoch auf der Tribüne flammten herausfordernd die drei Spitzmützen. Aber unter diesen Hüten waren keine Knebel mehr zu sehen...
‘Noch einige Minuten,’ flüsterte eine Stimme an seinem Ohr, während man ihn weiter seitwärts zur Balustrade zog, ‘verderbt Seiner Majestät doch nicht den Effekt, Don Fernando!’
‘Ich bin ja doch schon in Ungnade,’ sagte er hitzig zu dem Mitglied des Cortes, das seinen Protest unterbrochen hatte, ‘was soll die Komödie?’
Im gleichen Augenblick verstand er. Der Sekretär hatte sich von neuem hinter das Pult gestellt. Schräg unter ihm lag Leonor de Cisneros, an den Juden gelehnt. Es war die letzte Chance für die drei, und Philipp erwartete ihre Reue. Einmal hier entlassen und der weltlichen Gerechtigkeit übergeben, konnte ihnen keine Reue mehr nützen. Dann gab es nur noch die Garotte, den eisernen Würgring, der ihnen wenigstens den Schmerz des Brennens nehmen würde. Heimlich blickte er auf den König, der wohl den Befehl erteilt hatte, die Mordazas fortzunehmen, offenbar unter der Bedingung, daß die Ketzer nicht laut Zeugnis ablegten, denn aus der höchsten Bankreihe erklang kein Ruf, kein Lied, kein Evangelium. Der lange, jugendliche Pferdekopf des Königs mit der feingeformten Nase schien in Meditation versunken. Philipp der Zweite war nicht nur dogmatisch fromm, er war auch ein Künstler, und das Theater in seinem Lande befand sich noch in einem bedauerlichen Zustand. Er hatte sich dieses sein erstes Autodafé als ein jüngstes Gericht mit einem unsichtbaren Michael vorgestellt, der, wenn niemand mehr damit rechnete, die Herzen mit einem Blitzstrahl zu Umkehr bringen würde. In seinen Augen lag Angst, hilflose Angst, daß der Finger Gottes ausbleiben könnte. Denn so langsam und zögernd der Sekretär auch sprach, bis zum letzten Wort, das die Verurteilten den städtischen Behörden zu milder und gnädiger Behandlung empfahl, er wurde von keinem Zeichen unterbrochen; nur die roten Strahlen der Sonne fielen schräg auf die Szene. Antonio de Herrezuela, Carlos de Seso, Juan Sanchez, sie konnten nun schlucken, kauen, sie konnten durch den Mund atmen, gähnen, spucken, auch die Zunge herausstrecken, aber sie sprachen nicht. Das Volk verhielt sich totenstill. In ihren gelben, rotbekreuzten Hemden, die heruntergebrannten Kerzenstümpfe noch mechanisch vor sich haltend, schienen die Büßer dichter zusammengekrochen zu sein; schon lag die unterste Reihe in tiefem Schatten. Auf der Tribüne der Inquisitoren stützte man das Kinn in die Hand. Der König wandte sich um und verschwand mit gesenktem Kopf im Empfangssaal des Rathauses.
Es gelang Fernando de Cisneros sich seiner eigentlichen Aufgabe wieder zu erinnern. Es gelang ihm, eine halbe Stunde später, Herrezuela das Zeichen zu geben, daß für sein Kind gesorgt sei. Kaum konnte er seinen Haß gegen den König bezähmen, als er die drei Verurteilten, wie Säcke auf Maultiere geladen, mit nickenden Mützen, den Knebel wieder im Mund, mitten durch die schmähende Menge zum Gefängnis reiten sah. Die Kirchglocken läuteten und mit Steinen und faulem Obst wurde nicht gespart.
Dennoch hatte der Finger Gottes noch nicht seine ganze Kraft eingebüßt. Mitten in der Nacht wurde Carlos de Seso mürbe, widerrief seine Lehrsätze und verlangte einen Priester. Beichten und Kommunizieren erlaubte man ihm, aber natürlich nicht die letzte Ölung, um die er bat. Andere Tröstung als die Sterbesakramente war der Lohn für sein reumütiges Benehmen; man gab ihm Wein, sprach ihm Mut zu, man erinnerte ihn an die übliche Abschwächung der Strafe infolge seiner allerdings zu spät gekommenen Einkehr, und ohne Knebel wurde er früh am Morgen mit den anderen zum Scheiterhaufen gefahren und raschestens an der Garotte gewürgt. Der Henker, Luis de Jesus genannt, hatte den Auftrag erhalten, seine Arbeit zu verrichten wie es sich gehört, und für dieses Mal das langsame Schmoren, das spanische Henker so meisterhaft verstanden, und das die hauptsächlichste Grundlage ihres Einkommens bildete, zu unterlassen. Man konnte es abkaufen, zehn Peseten für jede Minute kürzer. Das erste Autodafé vor dem jungen König mußte bis ans Ende musterhaft verlaufen. An den beiden Pfählen ohne eisernen Ring standen Antonio de Herrezuela und Juan Sanchez festgebunden. Trotz der strengsten Vorbeugungsmaßnahmen waren sie einige Male von Steinen getroffen worden. Bis zuletzt versuchten die begleitenden Dominikaner sie zu überreden. Unter dem zusammengedrängten Volk waren Heißsporne, die um jeden Preis vor dem Feuer noch Blut sehen wollten; andere, die großmütiger waren, lagerten sich um den Scheiterhaufen mit Olla podrida und Früchten, deren Geruch den Verurteilten eine fast ebenso unerträgliche Qual bereitete wie der Leimgeruch, und zählten an den Fingern auf, was alles geboten worden war: feierlicher Einzug des Königs, ein Stierkampf (vor einigen Jahren vom Papst verboten und daher mit großem Prunk gefeiert), Johannisfeuer, Feuerwerk, zwei Hochmessen, ein Auto publice general mit einer dramatischen Bekehrung, drei Ketzer verbrannt, davon zwei lebendig, und mittags in den Straßen noch eine Geißelung auf Mauleseln! Als aber das erste Knistern der Flammen sich erhob und die Priester sich resigniert zurückzogen, gingen auch sie zu einer feindlichen Haltung über. Wer war denn dieser Ketzer, der die Hilfe der guten und weisen Mönche verschmähte? Niemand der Anwesenden hatte Herrezuela in seinem früheren Zustand gekannt, und es war nicht abzuleugnen, daß der weiße Knebel in seinem mageren gefurchten Gesicht mit den tiefliegenden, ein wenig schrägstehenden Augen, mit den ständig gespannten Furchen der Stirn unter der Ketzermütze, ihm einen Ausdruck grotesk irritierender Arroganz verlieh. Juan Sanchez konnte man noch bedauern, aber diesem bös dreinschauenden Gerippe wollte man an den Hals! Allgemein wurde angenommen, daß er den Jüngling verführt hätte, man spürte in ihm den Edelmann, den Hidalgo, einen jener reichen Nichtstuer, zu deren Ausrottung die Inquisition ja errichtet worden war. Ein stämmiger kleiner Kerl von maurischem Aussehen sprang vor und warf eine Hellebarde, die er unversehens einem Soldaten entrissen hatte, Herrezuela als Wurfspieß in die Seite. Das Blut floß hinter der stürzenden Waffe her. Vielleicht aber war diese Mißhandlung eher eine Wohltat für ihn; der Schmerz lenkte seine Aufmerksamkeit ab und zerriß die lähmende Angst vor der einer Flamme, der längsten von allen, die gerade nach seiner Rechten züngelte, und die er, indem er den Kopf so tief wie möglich neigte, schon seit einiger Zeit hatte kommen sehen. Mehr oder weniger im Gleichgewicht miteinander ließen die beiden Schmerzgefühle sich nun leichter beherrschen, und der Brandgeruch verdeckte den widerlichen Leimgestank. Hinter ihm lohte das Feuer, Rauchwolken entzogen seinen Blicken das hohe weiße Kreuz, das auf dem Scheiterhaufen aufragte. Durch die Kleider hindurch berührten die Flammen die Haut von Juan Sanchez. Da sie schon einen Umweg gemacht und seine Stricke durchglüht hatten, konnte er sich mit einem Ruck befreien, und humpelte, nun brennend, mit zuckenden Bewegungen der Schultern zum Rande des Scheiterhaufens; seine Hände waren noch gefesselt. Er schaute hinunter auf die gesenkten Hellebarden, zögerte, wollte niederkauern um hinunterzuspringen; die Umstehenden und die Soldaten wichen unentschlossen zurück, man wies einander, wie die Flamme ihm ins Gesicht schlug. Er kehrte sich um und sah die Augen von Herrezuela auf sich gerichtet. Sofort lief er zurück, mit schnellen, tastenden Schritten, und schon stand er wieder an der alten Stelle, an den verkohlten Pfahl gelehnt, der hinter ihm abbröckelte. Man erinnerte sich an das offene Knabenlächeln des Vortages. Das, worauf man gerechnet hatte, trat nicht ein: Hierarchie, Rangordnung, nur einer, der bis zuletzt ausharrte und der auch nicht einmal ganz. Juan Sanchez hatte sich überlegt und blieb, wo er war. Ja, beide Helden waren nun gleich groß, gleich unverzagt, und man konnte auf seinem Gesicht den allmählich erstarrenden Ausdruck der Freude darüber erkennen, bevor es ebenso schwarz gesengt und zu Blasen und Blattern verschrumpft war wie der Körper des Carlos de Seso, den die Flammen zuerst verzehrten, so daß sich die Zuschauer im Winde die Kohlenstäubchen aus den Augen wischen mußten.

Ein Jahr später wurde Leonor de Cisneros der weltlichen Gerechtigkeit übergeben. Es war am 9. April 1560, in der Fastenzeit, also gab es diesmal nur Früchte, keine Olla podrida. An Stelle des durch seine Vermählung mit Elisabeth von Valois in Anspruch genommenen Königs war der päpstliche Gesandte der Mittelpunkt des Interesses; nicht der Nuntius, sondern ein außerordentlicher Bevollmächtigter des spanisch gesinnten Pius des Vierten, den den Auftrag hatte, an diesem Tag die Goldene Rose, die am vierten Sonntag in den Fasten von Seiner Heiligkeit in der Laterankirche selber geweiht worden war, einige Wochen später dem prinzlichen Vielfraß Don Carlos zu überreichen. Der Infante hatte die Festlichkeiten mit ungewöhnlich reichlichen Mahlzeiten begangen, und wurde durch ein Klystier instand gesetzt, diese Auszeichnung persönlich und in nicht allzu psychopathischer Verfassung in Empfang zu nehmen. Man mußte ihm erklären, was das heißen sollte: die Goldene Rose. Konnte man sich darin spiegeln? War es ein Spielzeug? Verbreitete es einen Duft? Die Rede des Kardinalbischofs, Monsignore Cayetan, wurde seitens des Thronfolgers zweimal durch Rülpsen unterbrochen. Auch in der Predigt des Dominikaners Calificadoron während des Autodafés spielte die Goldene Rose eine gewisse Rolle. Melchior Can war inzwischen gestorben, einige Zeit nach Paul dem Vierten, wie es hieß aus Gram darüber, daß er seinen Feind verloren und nicht mehr gegen den römischen Nepotismus eifern konnte – aber er hatte Schule gemacht mit seiner kühn rhetorischen Mischung von Liturgie, biblischer Geschichte und Aktualität, die sich nun auf Leonor de Cisneros richtete und von der Goldenen Rose, dem brennenden Dornbusch und Maria von Ägypten handelte, deren Namenstag es zufällig war. So wie Moses in Ägypten unter diesem Zeichen auserwählt wurde, so sollte auch diese Sünderin der lutherischen Wüste durch die Flammen, ebenfalls Rosen von Gold, geläutert werden.
Man hatte keine Mühe und Sorge gespart, um Leonor von dem Rückfall in die Irrlehre abzubringen, doch sie blieb standhaft. Sie konnte kaum mehr die Aufwallung begreifen, in der sie sich, später durch Angst darin bestärkt, von Herrezuela abgewandt hatte. Außerdem waren nun einige Motive schon ausgeschaltet: die Hoffnung, durch das Beispiel ihrer Reue Herrezuela vom Scheiterhaufen zu retten, und die Pflicht, für ihr Söhnchen weiterzuleben. Beide hatte sie 1559 verloren. Die Klarissen, die sie in ihrer Besserungsanstalt bewachten und schlau genug waren, diesen Zusammenhang zu durchschauen, bemühten sich noch um die Auffindung des Kindes. Doch war es sehr die Frage, ob ihr Gewissen auch durch den günstigen Ausgang, daß sie den Jungen hätte sehen und später selber unter seinem eigenen Namen erziehen dürfen, hätte wankend gemacht werden können. Fernando de Cisneros war damals schon in Mexiko und hatte alle Beziehungen zu dem kleinen Entehrten gelöst.
Sie brannte mit der gleichen Gelassenheit wie Herrezuela, wie manche meinen, dank dem betäubenden Mittel, das ein barmherziger Arzt, der bei der Inquisition amtierte, ihr verabfolgt hatte. Mit Grauen und einer gewissen wohlbehaglichen Empfindung irgendwo in den Eingeweiden sah das Volk, wie weiß und ausgezehrt sie war und wie schwarz sie wurde. Sie gehörte zu den letzten Lutheranern, die man in Spanien verbrannte; fürderhin verbrannte man in der Hauptsache Juden und Fremde, und dann und wann einen schwerreichen Mauren. Ihre Asche wurde unter dem Murmeln heiliger Formeln in fließendes Wasser geworfen. Die Asche strömte gen Westen, durch Spanien, durch Portugal, an Sierren, an Wäldern, Olivenhainen und Weinbergen vorüber, wurde einige Zeit von den rollenden Wogen des Atlantischen Ozeans hin- und hergeworfen, und sank schließlig an der Küste nieder, wo sie ad maiorum Dei gloriam liegen blieb.

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